Richard Strauss Ariadne auf Naxos - Vorspiel Lyrics

ARIADNE AUF NAXOS

VORSPIEL

Orchestereinleitung
Ein tiefer, kaum möblierter und dürftig erleuchteter Raum im Hause eines großen Herrn. Links und rechts je zwei Türen. In der Mitte ein runder Tisch. Im Hintergrund sieht man Zurichtungen zu einem Haustheater. Tapezierer und Arbeiter haben einen Prospekt aufgerichtet, dessen Rückseite sichtbar ist. Zwischen diesem Teil der Bühne und dem vorderen Raum läuft ein offener Gang querüber. Der Haushofmeister tritt auf.

MUSIKLEHRER
Mein Herr Haushofmeister! Sie suche ich im ganzen Hause!

HAUSHOFMEISTER
Womit kann ich dienen? Muß allerdings bemerken, daß ich pressiert bin. Die Vorbereitungen zur heutigen großen a__emblée im Hause des reichsten Mannes von Wien - wie ich meinen gnädigen Herrn wohl betiteln darf -

MUSIKLEHRER
Ein Wort nur! Ich höre soeben, was ich allerdings nicht begreifen kann -

HAUSHOFMEISTER
Und das wäre?

MUSIKLEHRER
- und was mich in erklärliche Aufregung versetzt -

HAUSHOFMEISTER
In Kürze, wenn ich bitten darf!

MUSIKLEHRER
- daß bei der heutigen festlichen Veranstaltung hier im Palais - nach der Opera seria meines Schülers - kaum traue ich meinen Ohren - noch eine weitere, und zwar gleichfalls sozusagen musikalische Darbietung in Aussicht genommen ist - eine Art Singspiel oder niedrige Posse in der italienischen Buffo-Manier! Das kann nicht geschehen!

HAUSHOFMEISTER
Kann nicht? Wieso?

MUSIKLEHRER
Darf nicht!

HAUSHOFMEISTER
Wie beliebt?

MUSIKLEHRER
Das wird der Komponist nie und nimmer gestatten!

HAUSHOFMEISTER
Wer wird? Ich höre: gestatten. Ich wüßte nicht, wer außer meinem gnädigen Herrn, in dessen Palais Sie sich befinden und Ihre Kunstfertigkeiten heute zu produzieren die Ehre haben, etwas zu gestatten - geschweige denn anzuordnen hätte!

MUSIKLEHRER
Es ist wider die Verabredung. Die Opera seria "Ariadne" wurde eigens für diese festliche Veranstaltung komponiert.

HAUSHOFMEISTER
Und das ausbedungene Honorar wird nebst einer munifizenten Gratifikation durch meine Hand in die Ihrige gelangen.

MUSIKLEHRER
Ich zweifle nicht an der Zahlungsfähigkeit eines steinreichen Mannes.

HAUSHOFMEISTER
Für den Sie samt Ihrem Eleven Ihre Notenarbeit zu liefern die Auszeichnung hatten. - Was dann steht noch zu Diensten?

MUSIKLEHRER
Diese Notenarbeit ist ein ernstes bedeutendes Werk. Es kann uns nicht gleichgültig sein, in welchem Rahmen dieses dargestellt wird!

HAUSHOFMEISTER
Jedennoch bleibt es meinem gnädigen Herrn summo et unico loco überlassen, welche Art von Spektakel er seinen hochansehnlichen Gästen nach Vorsetzung einer feierlichen Kollation zu bieten gesonnen ist.

MUSIKLEHRER
Zu diesen die Verdauung fördernden Genüssen rechnen Sie demnach die heroische Oper "Ariadne"?

HAUSHOFMEISTER
Zuvörderst diese, danach das für Punkt neun Uhr anbefohlene Feuerwerk und zwischen beiden die eingeschobene Opera buffa. Womit ich die Ehre habe, mich zu empfehlen.

(Geht ab)

MUSIKLEHRER
Wie soll ich das meinem Schüler beibringen?

(Er geht ab nach der anderen Seite. Ein junger Lakai führt einen Offizier herein, dem er vorleuchtet)

DER LAKAI
Hier finden Euer Gnaden die Mamsell Zerbinetta.
(horcht)
Sie ist bei der Toilette. Ich werde anklopfen.
(Klopft an die Tür rechts vorne)

DER OFFIZIER
Laß er es sein und geh er zum Teufel!

(Er stößt den Lakai heftig weg und tritt ein. Der Lakai taumelt, rettet den Leuchter auf einen Wandtisch rechts zwischen den beiden Türen und klaubt sich zusammen)

KOMPONIST
(kommt eilig von rückwärts)
Lieber Freund verschaffen Sie mir die Geigen. Richten Sieh ihnen aus, daß sie sich hier versammeln sollen zu einer letzten kurzen Verständigungsprobe.

DER LAKAI
Die Geigen werden schwerlich kommen, erstens weil sie keine Füß nicht haben, und zweitens, weils in der Hand sind!

KOMPONIST
Wenn ich sage: die Geigen, so meine ich die Spieler.

DER LAKAI
Ach so! Die sind aber jetzt dort, wo ich auch hin sollt! und wo ich gleich sein wird - anstatt mich da mit Ihnen aufzuhalten.

KOMPONIST
Wo ist das?

DER LAKAI
Bei der Tafel!

KOMPONIST
Jetzt? Eine Viertelstunde vor Anfang meiner Oper beim Essen?

DER LAKAI
Wenn ich sag: bei der Tafel, so mein ich natürlich bei der herrschaftlichen Tafel, nicht beim Musikantentisch.

KOMPONIST
Was soll das heißen?

DER LAKAI
Aufspielen tun sie. Capito? Sind also für Sie derzeit nicht zu sprechen.

KOMPONIST
So werde ich mit der Demoiselle die Arie der Ariadne repetieren -
(Will an die vordere Tür rechts)

DER LAKAI
(hält ihn ab)
Hier ist nicht die Demoiselle drin, die Sie suchen, diejen'ge Demoiselle aber, die hier drin ist, ist für Sie ebenfalls nicht zu sprechen!

KOMPONIST
Weiß Er, wer ich bin? Wer in meiner Oper singt, ist für jederzeit zu sprechen!

DER LAKAI
Hehehe!
(Winkt ihm herablassend, geht ab.)

KOMPONIST
Eselsgesicht! Sehr unverschämter frecher Esel! Der Eselskerl läßt mich allein hier vor der Tür - Hier vor der Tür mich stehen und geht.

Oh, ich möchte vieles ändern noch in zwölfter Stund - und heut wird meine Oper - O der Esel! Die Freud!

Du allmächtiger Gott!
O du mein zitterndes Herz! Du allmächtiger Gott!

Dem Bacchus eintrichtern, daß er ein Gott ist! Ein seliger Knabe! Kein selbstgefälliger Hanswurst mit einem Pantherfell!
Mir scheint, das ist seine Tür.

Du Knabe, du Kind, du allmächtiger Gott!

(Die Tür geht auf, der Perückenmacher taumelt heraus, empfängt soeben eine Ohrfeige vom Tenor, der als Bacchus, aber mit kahlem Kopf, die Lockenperücke in der Hand, nach ihm zornig heraustritt)

DER TENOR
Das! Für einen Bacchus! Das mir aufzusetzen, mutet Er zu. Das hat Er, Lump, für Seinen Bacchuskopf!

(Gibt ihm einen Fußtritt)

KOMPONIST
Mein Wertester! Sie allerdringendst muß ich sprechen!

PERÜCKENMACHER
(zum Tenor)
Dero mishelliges Betragen kann ich belächelnd nur einer angeborenen Gemütsaufwallung zurechnen!

KOMPONIST
Mein Wertester!

(Der Tenor schlägt die Tür zu)

PERÜCKENMACHER
(schreiend gegen die Tür)
Habe meinerseits keine Ursache, wegen meiner Leistungen vor Ihnen zu erröten!

KOMPONIST
Hat der Herr leicht ein Stückerl Schreibpapier? Hätt mir gern was aufnotiert!
Ich vergeß nämlich gar leicht.

PERÜCKENMACHER
Kann nicht dienen.

(Läuft ab)

ZERBINETTA
(noch sehr im Negligé, mit dem Offizier aus dem Zimmer rechts)
Erst nach der Oper kommen wir daran, Es wird keine kleine Mühe kosten, die Herrschaften wieder lachen zu machen, wenn sie sich erst eine Weile gelangweilt haben. (kokett) Oder meinen Sie, es wird mir gelingen?

(Sie gehen nach rückwärts, sprechen weiter. Die Primadonna, mit dem Musiklehrer, tritt aus der vorderen Tür links. Sie trägt über dem Ariadne-Kostüm einen Frisiermantel. Der Musiklehrer will sich verabschieden.)

PRIMADONNA
Schnell, lieber Freund! Einen Lakai zu mir! Ich muß unbedingt sofort den Grafen sprechen.

(Sie schließt die Tür. Der Komponist will hin)

MUSIKLEHRER
(Hält ihn auf)
Du kannst jetzt nicht eintreten. Sie ist beim Frisieren.

(Der Tanzmeister kommt zu Zerbinetta und dem Offizier)

KOMPONIST
Wer ist dieses Mädchen?

TANZMEISTER
(zu Zerbinetta)
Sie werden ein leichtes Spiel haben, Mademoiselle, die Oper ist langweilig über die Begriffe, und was die Einfälle anlangt, so steckt im meinem linken Schuhabsatz mehr Melodie als in dieser ganzen "Ariadne auf Naxos".

MUSIKLEHRER
(zum Komponisten ganz vorn)
Sei sie wer immer!

KOMPONIST
Wer ist dieses entzückende Mädchen?

MUSIKLEHRER
Um so besser, wenn sie dir gefällt. Es ist die Zerbinetta. Sie singt und tanzt das l___ige Nachspiel das man nach deiner Oper gibt.

KOMPONIST
Nach meiner Oper? Ein l___iges Nachspiel? Tänze und Triller, freche Gebärden und zweideutige Reden nach "Ariadne"! Sag mir's!

MUSIKLEHRER
Ich bitte dich um alles!

KOMPONIST
Das Geheimnis des Lebens tritt an sie heran, nimmt sie bei der Hand - und sie bestellen sich eine Affenkomödie, um das Nachgefühl der Ewigkeit aus ihrem unsagbar leichtfertigen Schädel fortzuspülen! O ich Esel!

MUSIKLEHRER
Beruh'ge dich!

KOMPONIST
Ich will mich nicht beruhigen! Ein heiteres Nachspiel! Ein Übergang zu ihrer Gemeinheit! Dieses maßlos ordinäre Volk will sich Brücken baun aus meiner Welt hinüber in die seinige! O Mäzene! Das erlebt zu haben, vergiftet meine Seele für immer! Es ist undenkbar, daß mir je wieder eine Melodie einfällt! In dieser Welt kann keine Melodie ihre Schwingen regen!

Und gerade früher ist mir eine recht schöne eingefallen! Ich habe mich über einen frechen Lakaien erzürnt, da ist sie mir aufgeblitzt - dann hat der Tenor dem Perückenmacher eine Ohrfeige gegeben - da hab ich sie gehabt! - Ein Liebesgefühl, ein süß bescheidenes, ein Vertrauen, wie diese Welt es nicht wert ist - da -
(den Text improvisierend)
Du. Venus' Sohn - gibst süßen Lohn
Für unser Sehnen und Schmachten!
La, la, la, la - mein junges Herz
Und all mein Sinnen und Trachten:
O du Knabe, du Kind, du allmächtiger Gott!
O du mächtiger Gott

Hast ein Stückerl Notenpapier?

(Der Musiklehrer gibt ihm welches, der Komponist notiert. Zerbinetta, im Gespräch, lacht auf. Harlekin, Scaramuccio, Brighella, Truffaldin kommen im Gänsemarsch aus Zerbinettas Zimmer)

ZERBINETTA
(vorstellend)
Meine Partner, meine erprobten Freunde. Jetzt meinen Spiegel, mein Rot! Meinen Crayon!

KOMPONIST
(zum Musiklehrer)
Und du hast es gewußt! Du hast es gewußt!

MUSIKLEHRER
Mein Freund, ich bin halt dreißig Jahre älter als du und hab halt gelernt, mich in die Welt zu schicken.

KOMPONIST
Wer so an mir handelt, der ist mein Freund gewesen, gewesen, gewesen, gewesen!

(Er zerreißt wütend das Notierte. Zerbinetta hat auf dem Stuhl vorn Platz genommen, schminkt sich zu Ende, von ihren Partnern bedient)

PRIMADONNA
(öffnet die Tür und winkt dem Musiklehrer)
Haben Sie nach dem Grafen geschickt?

(Tritt ein wenig vor, bemerkt Zerbinetta und die übrigen)

Pfui! Was gibt's denn da für Erscheinungen?
Uns mit dieser Sorte von Leuten in einen Topf? Weiß man hier nicht, wer ich bin? Wie konnte der Graf -

ZERBINETTA
(mit einem frechen Blick auf die Sängerin und absichtlich laut)
Wenn das Zeug zu langweilig ist, dann hätte man doch uns zuerst auftreten lassen sollen, bevor sie übellaunig werden. Haben sie sich erst eine Stunde gelangweilt, so ist es doppelt schwer, sie lachen zu machen.

TANZMEISTER
Im Gegenteil. Man kommt vom Tisch, man ist beschwert und wenig aufgelegt, man macht unbemerkt ein Schläfchen, klatscht dann aus Höflichkeit und um sich wach zu machen. Indessen ist man ganz munter geworden. 'Was kommt jetzt?' sagt man sich. '"Die ungetreue Zerbinetta und ihre vier Liebhaber": ein heiteres Nachspiel mit Tänzen, leichte, gefäll'ge Melodien, ja! eine Handlung, klar wie der Tag; da weiß man, woran man ist. Das ist unser Fall," sagt man sich, da wacht man auf, da ist man bei der Sache. - Und wenn sie in ihren Karossen sitzen, wissen sie überhaupt nichts mehr, als daß sie die unvergleichliche Zerbinetta haben tanzen sehen.

MUSIKLEHRER
(zur Primadonna)
Erzürnen Sie sich nicht um nichts und wieder nichts. Ariadne ist das Ereignis des Abends, um Ariadne zu hören, versammeln sich Kenner und vornehme Personen im Hause eines reichen Mäzens, Ariadne ist das Losungswort. Sie sind Ariadne, und morgen wird überhaupt niemand mehr wissen, daß es außer Ariadne noch etwas gegeben hat.

LAKAI
(läuft rückwärts vorüber)
Die Herrschaften stehen vom Tisch auf! Man sollte sie hier beeilen. (Ab)

MUSIKLEHRER
Meine Damen und Herren, an ihre Plätze.

(Alles kommt in Bewegung. Der Haushofmeister kommt, tritt auf den Musiklehrer zu)

HAUSHOFMEISTER
Ihnen allen habe ich eine plötzliche Anordnung meines gnädigen Herren auszurichten.

MUSIKLEHRER
Ist schon geschehen. Wir sind bereit, in drei Minuten mit der Oper "Ariadne" anzufangen.

HAUSHOFMEISTER
Der gnädige Herr haben sich nunmehr wiederum anders besonnen.

MUSIKLEHRER
Es soll also nicht mit der Oper begonnen werden?

PRIMADONNA
Was ist das?

HAUSHOFMEISTER
Um Vergebung. Wo ist der Herr Tanzmeister? Ich habe einen Auftrag meines gnädigen Herren für sie beide.

TANZMEISTER
(tritt eilig hinzu)
Was wünscht man von mir?

HAUSHOFMEISTER
Mein gnädiger Herr belieben das von ihm selbst genehmigte Programm umzustoßen -

MUSIKLEHRER
Jetzt im letzten Moment? Das ist doch ein starkes Stückl!

HAUSHOFMEISTER
- umzustoßen und folgendermaßen abzuändern.

TANZMEISTER
Das Nachspiel wird Vorspiel, wir geben zuerst "Die ungetreue Zerbinetta", dann "Ariadne". Sehr vernünftig.

HAUSHOFMEISTER
Um Vergebung. Die Tanzmaskerade wird weder als Nachspiel noch als Vorspiel aufgeführt, sondern mit dem Trauerstück "Ariadne" gleichzeitig.

TENOR
Ha! Ist dieser reiche Herr besessen?

MUSIKLEHRER
Will man sich hier über uns l___ig machen?

PRIMADONNA
Sind die Leute wahnsinnig? Ich muß augenblicklich den Grafen sprechen!

HAUSHOFMEISTER
Es ist genau so, wie ich es sage. Wie Sie es machen werden, ist natürlich Ihre Sache.

MUSIKLEHRER
Unsre Sache!

HAUSHOFMEISTER
Mein gnädiger Herr ist der für Sie schmeichelhaften Meinung, daß Sie beide Ihr Handwerk genug verstehen, um eine solche kleine Änderung auf eins, zwei durchzuführen.

Es ist nun einmal der Wille meines gnädigen Herren, die beiden Stücke, das l___ige und das traurige, mit allen Personen und der richtigen Musik, so wie er sie bestellt und bezahlt hat, gleichzeitig auf seiner Bühne serviert zu bekommen.

MUSIKLEHRER
Warum gleichzeitig?

ZERBINETTA
Da muß ich ja beeilen!
(Läuft in ihr Zimmer)

HAUSHOFMEISTER
Und zwar so, daß die ganze Vorstellung deswegen auch nicht einen Moment länger dauert, denn für Punkt neun Uhr ist ein Feuerwerk im Garten anbefohlen.

MUSIKLEHRER
Ja, wie um aller Götter willen stellt sich denn Seine Gnaden das vor?

KOMPONIST
(für sich)
Eine innere Stimme hat mir von der Wiege an etwas Derartiges vorausgesagt.

HAUSHOFMEISTER
Es ist wohl nicht die Sache meines gnädigen Herren, wenn er ein Spektakel bezahlt, sich auch noch damit abzugeben, wie es ausgeführt werden soll. Seine Gnaden ist es gewohnt anzuordnen und seine Anordnungen befolgt zu sehen. Zudem ist mein gnädiger Herr schon seit drei Tagen ungehalten darüber, daß in einem so wohlausgestatteten Hause wie das seinige ein so jämmerlicher Schauplatz wie eine wüste Insel ihm vorgestellt werden soll, und ist eben, um dem abzuhelfen, auf den Gedanken gekommen, diese wüste Insel durch das Personal aus dem anderen Stück einigermaßen anständig staffieren zu lassen.

TANZMEISTER
Das finde ich sehr richtig. Es gibt nichts Geschmackloseres als eine wüste Insel.

KOMPONIST
Ariadne auf Naxos, Herr. Sie ist das Sinnbild der menschlichen Einsamkeit.

TANZMEISTER
Ebendarum braucht sie Gesellschaft.

KOMPONIST
Nichts um sich als das Meer, die Sterne, die Bäume, das fühllose Echo. Sieht sie ein menschliches Gesicht, wird meine Musik sinnlos.

TANZMEISTER
Aber der Zuhörer unterhält sich. So wie es jetzt ist, ist es, um stehend einzuschlafen.

HAUSHOFMEISTER
Um Vergebung, aber ich bitte, sich höflich zu beeilen, die Herrschaften werden sogleich eintreten.
(Ab)

MUSIKLEHRER
Ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht. Wenn man zwei Stunden Zeit hätte, um über die Lösung nachzudenken.

KOMPONIST
Darüber willst du nachdenken, wo menschliche Gemeinheit, stier wie die Medusa, einem entgegengrinst. Fort! Was haben wird hier verloren?

MUSIKLEHRER
Was wir hier verloren haben? Die fünfzig Dukaten unter anderem, von denen du das nächste halbe Jahr zu leben gedachtest!

KOMPONIST
(vor sich)
Ich habe nichts mit dieser Welt gemein. Wozu leben in ihr.

TANZMEISTER
Ich weiß wirklich nicht, warum Sie beide einem so vernünftigen Vorschlag solch übertriebene Schwierigkeiten entgegensetzen!

MUSIKLEHRER
Meinen Sie im Ernst, es ließe sich machen?

TANZMEISTER
Nichts leichter als das. Die Oper enthält Längen - gefährliche Längen. Man läßt sie weg. Diese Leute wissen zu improvisieren, finden sich in jede Situation.

MUSIKLEHRER
Still, wenn er uns hört, begeht er Selbstmord.

TANZMEISTER
Fragen Sie ihn, ober er seine Oper lieber heute ein wenig verstümmelt hören will, oder ob er sie niemals hören will. Schaffen Sie ihm Feder, Tinte, einen Rotstift, was immer!
(zum Komponisten)
Es handelt sich darum, Ihr Werk zu retten!

KOMPONIST
(drückt die ihm gereichten Noten an die Brust)
Lieber ins Feuer!
(Man bringt ihm Tinte, Feder, schiebt den Tisch nach vorn)

TANZMEISTER
Hundert große Meister, die wir auf den Knien bewundern, haben ihre erste Aufführung mit noch ganz andern Opfern erkauft.

KOMPONIST
Meinen Sie? Hat er recht? Du? Darf ich denn? Muß ich denn?

TANZMEISTER
(drückt ihn sanft an den Tisch; zum Musiklehrer)
Sehen Sie zu, daß er genug streicht. Ich rufe indeß Zerbinetta. Wir erklären ihr in zwei Worten die Handlung. Sie ist eine Meisterin im Improvisieren: da sie immer nur sich selber spielt, findet sie sich in jeder Situation zurecht, die anderen sind auf sie eingespielt, es geht alles wie am Schnürchen.
(Er holt Zerbinetta, spricht zu ihr. Der Komponist fängt wütend zu streichen an)

TENOR
(zum Komponisten)
Der Ariadne müssen Sie streichen. Niemand hält es aus, wenn diese Frau unaufhörlich auf der Bühne steht.

PRIMADONNA
(zum Musiklehrer)
Sehn Sie zum, daß er dem Bacchus einiges wegnimmt; man erträgt es nicht, diesen Mann so viel hohe Töne singen zu hören.

MUSIKLEHRER
(flüsternd zur Primadonna)
Sie behalten alles.
(zum Tenor nach der anderen Seite)
Er nimmt ihr zwei Arien weg, Ihnen keine Note. Verraten Sie mich nicht.
(zur Primadonna)
Er nimmt dem Bacchus die halbe Rolle, lassen Sie sich nichts merken.

TANZMEISTER
Diese Ariadne ist eine Königstochter. Sie ist mit einem gewissen Theseus entflohen, dem sie vorher das Leben gerettet hat.

ZERBINETTA
So etwas geht selten gut aus.

TANZMEISTER
Theseus wird ihrer überdrüssig und läßt sie bei Nacht auf der wüsten Insel zurück!

MUSIKLEHRER
(zum Komponisten)
Noch das, es muß sein!

ZERBINETTA
Kleiner Schuft!

TANZMEISTER
Sie verzehrt sich in Sehnsucht und wünscht den Tod herbei.

ZERBINETTA
Den Tod! Das sagt man so. Natürlich meint sie einen andern Verehrer.

TANZMEISTER
Natürlich, so kommt's ja auch!

KOMPONIST
(hat aufgehorcht, kommt näher)
Nein, Herr, so kommt es nicht. Denn, Herr, sie ist eine von den Frauen, die nur einem im Leben gehören und danach keinem mehr -

ZERBINETTA
Ha!

KOMPONIST
Keinem mehr als dem Tod.

ZERBINETTA
Der Tod kommt aber nicht. Sondern das Gegenteil, wetten wir. Vielleicht auch ein blasser, dunkeläugiger Bursche, wie du einer bist.

MUSIKLEHRER
Sie vermuten ganz recht. Es ist der jugendliche Gott Bacchus, der zu ihr kommt!

ZERBINETTA
Als ob man das nicht wüßte. Nun hat sie für's nächste ja, was sie braucht.

KOMPONIST
Sie hält ihn für den Todesgott. In ihren Augen, in ihrer Seele ist er es, und darum, einzig darum -

ZERBINETTA
Das will sie dir weismachen.

KOMPONIST
Einzig nur darum geht sie mit ihm auf sein Schiff! Sie meint zu sterben? Nein! Sie stirbt wirklich.

ZERBINETTA
Ta, ta! Du wirst mich meinesgleichen kennen lehren!

KOMPONIST
Sie ist nicht Ihresgleichen!
Ich weiß es, das sie stirbt.
Ariadne ist die eine unter Millionen, sie ist die Frau, die nicht vergißt.

ZERBINETTA
Kindskopf.
(Sie kehrt ihm den Rücken, zu ihren Partnern)
Merkt auf: wir spielen mit in dem Stück "Ariadne auf Naxos". Das Stück geht so: eine Prinzessin ist von ihrem Bräutigam sitzengelassen, und ihr nächster Verehrer ist vorerst nicht angekommen. Die Bühne stellt eine wüste Insel dar. Wir sind eine muntere Gesellschaft, die sich zufällig auf dieser Insel befindet. Ihr richtet euch nach mir, und sobald sich eine Gelegenheit bietet, treten wir auf und mischen uns in die Handlung.

KOMPONIST
Sie gibt sich dem Tod hin - ist nicht mehr da - weggewischt - stürzt sich hinein ins Geheimnis der Verwandlung - wird neu geboren - entsteht wieder in seinem Armen! - Daran wird er zum Gott! Worüber in der Welt könnte eines zum Gott werden als über diesem Erlebnis?

ZERBINETTTA
Courage! Jetzt kommt Vernunft in die Verstiegenheit!

KOMPONIST
Lebendig war's! Stand da - so!
(Malt mit den Händen in die Luft)

ZERBINETTA
Und wenn ich hineinkomme, wird's schlechter?

KOMPONIST
Ich überlebe diese Stunde nicht!

ZERBINETTA
Du wirst noch ganz andere überleben!

KOMPONIST
Was wollen Sie - in diesem Augenblick - damit sagen?

ZERBINETTA
Ein Augenblick ist wenig - ein Blick ist viel. Viele meinen, daß sie mich kennen, aber ihr Auge ist stumpf. Auf dem Theater spiele ich die Kokette, wer sagt, daß mein Herz dabei im Spiele ist? Ich scheine munter und bin doch traurig, gelte für gesellig und bin doch so einsam.

KOMPONIST
Süßes, unbegreifliches Mädchen!

ZERBINETTA
Törichtes Mädchen, mußt du sagen, das sich manchmal zu sehnen verstünde nach dem einen, dem sie treu sein könnte, treu bis ans Ende. -

KOMPONIST
Wer es sein dürfte, den du ersehnst! Du! Du bist wie ich - das Irdische unvorhanden in deiner Seele.

ZERBINETTA
Du sprichst, was ich fühle. - Ich muß fort. Vergissest du gleich wieder diesen einen Augenblick?

KOMPONIST
Vergißt sich in Äonen ein einziger Augenblick?

(Zerbinetta macht sich los, läuft ab. Der Musiklehrer hat die übrigen Figuren nach hinten, wo die Bühne angenommen ist, dirigiert und kommt jetzt nach vorn, die Primadonna abzuholen)

MUSIKLEHRER
An Ihre Plätze, meine Damen und Herren! Ariadne, Zerbinetta, Scaramuccio, Harlekin! Auf die Szene, wenn ich bitten darf!

PRIMADONNA
Ich soll mit dieser Person auf einer Szene stehn! Woran denken Sie?

MUSIKLEHRER
Sein Sie barmherzig. Bin ich nicht Ihr alter Lehrer?

PRIMADONNA
Jagen Sie mir die Kreatur von der Bühne, oder ich weiß nicht, was ich tu!

MUSIKLEHRER
Wo hätten Sie eine bessere Gelegenheit, als auf der Bühne ihr zu zeigen, welch unermeßlicher Abstand zwischen Ihnen befestigt ist!

PRIMADONNA
Abstand! Ha ha! Eine Welt, hoffe ich!

MUSIKLEHRER
Legen Sie diese Welt in jede Gebärde, und man wird Ihnen anbetend zu Füßen sinken!

(Küßt ihr die Hand, führt sie ein paar Schritte nach hinten, kommt sogleich wieder, den Komponisten zu holen, der ihn stürmisch umarmt)

KOMPONIST
Sein wir wieder gut. Ich sehe jetzt alles mit anderen Augen! Die Tiefen des Daseins sind unermeßlich! Mein lieber Freund! Es gibt manches auf der Welt, das läßt sich nicht sagen! Die Dichter unterlegen ja recht gute Worte, recht gute - jedoch, jedoch, jedoch, jedoch, jedoch! - Mut ist in mir, Mut Freund! Die Welt ist lieblich und nicht fürchterlich dem Mutigen. Was ist denn Musik?

Musik ist eine heilige Kunst, zu versammeln alle Arten von Mut wie Cherubim um einen strahlenden Thron, und darum ist sie die heilige unter den Künsten! Die heilige Musik!

(Zerbinetta erscheint hinten, mit einem frechen Pfiff ihre Partner auf die Bühne zu rufen. Harlekin kommt eilfertig, seinen Gurt schnallend, auf die Bühne)

Was ist das? Wohin?

(Scaramuccio kommt, wie Harlekin, gleichfalls im Laufen seine Toilette beendend)

Diese Kreaturen! -

(Truffaldin und Brighella kommen)

In mein Heiligtum hinein ihre Bocksprünge! Ach!

MUSIKLEHRER
Du hast es erlaubt!

KOMPONIST
(rasend)
Ich durfte es nicht erlauben; du durftest mir nicht erlauben, es zu erlauben! Wer hieß dich zerren mich in diese Welt hinein? Laß mich erfrieren, verhungern, versteinen in der meinigen!

(Er läuft ab, verzweifelt. Der Musiklehrer sieht ihm nach, schüttelt den Kopf)

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