Richard Strauss Die schweigsame Frau - Akt 2 Lyrics

ZWEITER AUFZUG

ERSTE SZENE
Gleiches Zimmer. Nachmittag des nächsten Tages

MOROSUS
in silberseidenen Hosen, noch ohne Rock, richtet sich unter Hilfe der Haushälterin in grossen Staat zusammen
Den Paraderock mit den vergoldeten Schnüren!

HAUSHÄLTERIN
ihm hineinhelfend
Hier, Euer Gnaden! Doch lasst Euch nur raten ...

MOROSUS
über sie hinweg
Den Dreispitz mit den Knüpfen!

HAUSHÄLTERIN
Er ist schon bereit. Ach, wollt' mich nur hören ...

MOROSUS
wie vordem
Den Ehrendegen Seiner Königlichen Majestät!

HAUSHÄLTERIN
eifrig
Zur Stelle, zur Stelle, frisch, blank und gescheuert ... Oh, es drückt mir die Seele, gnädigster Herr! Wie könnt Ihr so eilen, nur weil dieser Bader,
grimmig
dieser verfluchte, vermaledeite Pinselhalter des Teufels Euch zuschwatzt ...

MOROSUS
Den Stock mit dem goldenen Knauf!

HAUSHÄLTERIN
Hier, hier, Euer Gnaden . . . Oft wollt doch bedenken, oh, lasst Euch warnen ... Sie spielen mit Euch ein tückisches Spiel!

MOROSUS
noch immer über sie hinweg
Bin ich nun ordentlich angetan? Keinen Fehler? Keine Falten? Sehe ich stattlich aus?

HAUSHÄLTERIN
Oh Jesus, wie könnten Euer Gnaden anders aussehn denn vortrefflich! Madonna Maria, dass so ein vornehmer, so ein gütiger, edler Mann zum Spott wird für einen Schaumschläger, oh, - es zerreisst mir die Seele!

MOROSUS
Lass sie flicken beim nächsten Schuster und dir gleichPechdraht durch den Mund ziehn! Kannst du nicht schweigen einen Atemzug lang? Gott sei Dank, bald werd' ich erlöst sein von diesem Gesabber ...

HAUSHÄLTERIN
Erlöst? Nein, geschmort und gebraten, gerupft und gepfeffert von diesem Erzkoch des Teufels!
In die Knie fallend
Oh Herr, glaubt einer treuen Dienerin, sie treiben ein Narrenspiel mit Euch, sie führen Euch wie einen Bären am Halfter. Ich habe allerlei gehört an den Türen, ich ...

MOROSUS
wütend
Was, an den Türen klebst du? Dass ich dir dort einmal die Nase einklemmen könnte! Fort jetzt und am Tore gewartet, bis der Bader kommt mit dem Mädchen!

HAUSHÄLTERIN
Ha, das wird gut gebadert sein und mit allen Wassern gewaschen, was dieser Preiskuppler Euch als Jungfer zuschwätzt ...

MOROSUS
Hinaus, Kanaille!
Es pocht
Ach, - da ist er schon!
Zur Haushälterin
Bin ich stattlich? Ist alles in Ordnung?

HAUSHÄLTERIN
Das Kleid schon, aber der Kopf, Euer Gnaden ...

MOROSUS
stürzt auf sie zu - die Haushälterin flüchtet hinaus - allein, tritt vor den Spiegel, sieht sich an, macht einige feste Schritte

ZWEITE SZENE
Der Barbier tritt ein, gleichfalls feierlich angetan, wie ein Brautwerber

BARBIER
Euer Gnaden gehorsamster Diener!

MOROSUS
Nun, hast du sie gefunden? Hast du das Mädchen gebracht?

BARBIER
Nicht nur eine, sondern drei, mein gnädigster Herr.

MOROSUS
Drei ? Bin ich ein Türke? Schon eine ist vielleicht zu viel. Aber werden sie keinen Lärm machen, mir schmerzen die Ohren noch von gestern. Sind sie schweigsam und still?

BARBIER
Das Stillste, das Schweigsamste der ganzen Grafschaft, jede auf ihre Art. Ihr könnt wählen unter ihnen wie weiland Paris unter den Göttinnen, und den Consensus der Eltern und des Vormunds hab' ich bereits in der Tasche. Ach, was für Mädchen, was für knusprige, keusche Dinger! Wäre ich nicht vermählt, Gott sei's geklagt, vermählt seit neunzehn Jahren, ich hätte mir selber eine ausgesucht, so still sind sie, so sanft und taubenhaft!

MOROSUS
Und den Pfarrer, den Notarius?

BARBIER
Verständigt, verständigt und die Pergamente sauber ausgeschrieben. Nur der Name fehlt noch und Euer Gnaden giltiges Signum.

MOROSUS
Vortrefflich! Ich will meinem Neveu einen Pfropf in die Kehle stecken, dass er das Singen verlernt. Führ' sie herein!

BARBIER
Sogleich, Euer Liebden!
Er geht zur Tür, wendet sich noch einmal um und kommt zurück

MOROSUS
schon ungeduldig
Was soll's? Keine Federlesen!

BARBIER
tritt an ihn heran, leise, vertraulich, mit gespielter Besorgnis
Nur das eine lasst Euch bitten,
Fasst sie nicht zu stürmisch an!
Mädchen sind's von feinen Sitten,
Kinder fast noch nach den Jahren,
Zart und scheu und unerfahren -
Keiner nahte je ein Mann.

Wenn sie stocken, wenn sie schaudern,
Spröde tun beim ersten Wort,
Nicht vermögen frei zu plaudern,
Lächelt nicht der Scham in Nöten,
Denn ein Scherz macht sie erröten
Und ein Spott scheuchte sie fort.

Zart muss man mit Zartem handeln.
Ach, ein Mädchenherz ist scheu,
Nur Vertrauen kann es wandeln,
Dass es sacht beginnt zu spriessen,
Sich zu öffnen, zu erschliessen
Und der Liebe offen sei.

Darum lasst Euch nochmals bitten,
Fasst sie nicht zu stürmisch an.
Mädchen sind's von feinen Sitten,
Kinder fast noch nach den Jahren,
Zart und scheu und unerfahren -
Und voll Angst vor jedem Mann.

MOROSUS
Zum Teufel, ich werde sie nicht fressen! Ich wusste schon mit Weibern umzugehn, als du noch einen Bart nicht unterscheiden konntest von einem Flederwisch! Presto jetzt, ich habe keine Zeit.

DRITTE SZENE
Der Barbier geht zur Türe und führt Carlotta, Isotta und Aminta herein, die alle verkleidet sind, durch veränderte Haartracht nicht leicht erkennbar. Carlotta kommt als Landmädchen mit grellen Strümpfen, buntem Mieder, einem Strohhut, den sie verlegen in der Hand hält, Isotta ist als junge Edeldame etwas affektiert angezogen, Aminta ganz einfach wie ein armes Bürgermädchen. Alle verneigen sich tief und demütig

BARBIER
pathetisch zu ihnen
Wohl tut ihr, das Haupt zu neigen,
Denn ihr weilt in edlem Haus,
Gross ist der Herr, der euch erwartet,
Gross die Ehre, die euch teil wird,
Gross das Schicksal, das euch ruft.
Auf Morosus deutend
Dieses ist der hochgeborne,
Hochberühmte, unbesiegte
Sir Morosus, Admiral
Seiner Majestät des Königs,
Wohlbekannt auf allen Meeren,
Hochgeehrt an allen Höfen!

Schämt euch nicht, vor ihm zu zagen,
Denn auch unerschrockne Männer,
Türken, Spanier und Piraten
Schauerten vor seiner Flagge,
Zitterten vor seinem Schwert.
Neigt nur, neigt das Haupt zur Erde:
Dieser Mann ist Ehrfurcht wert.

MOROSUS
galant
Werte Damen, seid willkommen!
Mein die Ehre, mein die Ehrfurcht!
Jugend hat das höh're Anrecht,
Schönheit adelt jedes Haus.

BARBIER
Gestattet, hochedler Herr, Euch die Damen zu präsentieren und das Wort für ihre Schüchternheit zu nehmen.
Er führt Carlotta heran

CARLOTTA
bäuerisches Entsetzen heuchelnd
Ui je, i hab' an Angst! I fürcht' mi tamisch vor so an noblen Herrn!

BARBIER
Dies Mädchen reiner Unschuld
Stammt vom Lande,
Schlichter Bauern einzig Kind,
Unbelehrt in allen Künsten,
Fremd der Lüge, der Verstellung,
Wuchs sie zwischen sanften Lämmern
Auf den Wiesen, auf den Weiden
Selbst wie eine Blume auf.

MOROSUS
Und wie heisst du?

BARBIER
für sie antwortend
Katharina

CARLOTTA
grob
Ka Spur! Was lügst denn, Bazi! Kathi rufen's mich alleweil.
zum Barbier, der ihr Zeichen macht, still zu sein
No, weil's wahr is! I wer doch net mogeln vor so ein aufputzten Herrn!

MOROSUS
Tritt nur näher!

CARLOTTA
Oh mei! Was will er denn von mir? Wie der mi anglurt genau wie bei uns der Jud die trächtige Sau. Was wiil er denn von mir? Ah mei, da geh i net zu!

MOROSUS
ärgerlich zum Barbier
Die ist bei ihren Kälbern selbst zum Kalb geworden. Schaff' sie weg!

BARBIER
schiebt Carlotta mit dem Ellenbogen an

CARLOTTA
blöd
Derf i scho wieder gehn?

MOROSUS
zornig
Ja, du derfst!

BARBIER
Isotta heranführend
Dieses ist ein junges Fräulein,
Arm, doch edel ihre Eltern.
Tag und Nacht in ihrer Kammer,
Abgewandt von allen Spielen
ernte sie die hohen Künste,
Die dem Geiste Macht verleihn.
Wie eine Litanei, rasch

Sie kann Latein, Griechisch, Hebräisch, Aramäisch wie ihre Muttersprache, sie macht Verse, Charaden, sie zeichnet und stickt Tapisserien, sie liest auswendig von vorn und rückwärts die Kommentare zur Heiligen Schrift und die Pandekten der Kirchenväter, sie versteht Astronomie, Astrologie, Trigonometrie, Chiromantie, sie spielt Schach wie ein Perser und schlägt die Laute ...

MOROSUS
aufschreckend
Schlägt die Laute??

BARBIER
Nein, nein, ich meine, sie liest die Tabulatur, beherrscht den Generalbass und den Kontrapunkt, aber nur in der Theorie, nie in der practica. Sie weiss ferners ...

MOROSUS
Schon gut und genug!
Zu Isotta
Tretet nur näher, edles Fräulein, habt keine Angst!

ISOTTA
leicht und geschwind
Wie soll ich Scheu haben, da meine Kenntnis der Physiognomia mir Eure Sternenbeschattung kenntlich macht. Ihr seid, ich ersehe es aus Eurer Komplexion, im Zeichen des Mars geboren, sanguinischen Bluts, gefährlich den Männern im Zorn, doch wohlgeneigt den Frauen und gerne von ihnen gelitten. Eure Leibes-haltung zeigt Grossmut, der Bogen der Stirne Festig-keit des Entschlusses, die dunkle Pupille männische Kraft, eine sympathische Aura strahlt von ihr aus, wie sollte man da nicht Zutrauen haben, die Hand ... erlaubt mir Eure Hand ...
sie fasst nach seiner Hand

MOROSUS
ganz betroffen, kann sich nicht wehren
Mein Fräulein!

ISOTTA
Welch glücksel'ge Formation! Der Fortuna Linie ungebrochen, die Rune des Herzens, die Mensalis, frei überschnitten von der Linie der Sonne, das besagt nach Coclenius glücksel'ge Signatur in allen Abenteuern der Venus! Ihr braucht nur wollen und Ihr habt, was Ihr begehrt, so deutet's Agrippa von Nettesheim in seiner Chirosophia. Die Lebenslinie weist starken Ast, ah, vortrefflich, vortrefflich, kein Spalt, keine Abzweigung. Ihr habt keine Nachfahren und werdet lange leben! In klarer Quadrangel die Wurzeln der Temperamente, ach, was für eine treffliche Hand Ihr habt, Sir Morosus, was für eine edle, sprechende Hand ...

MOROSUS
ängstlich verärgert die Hand zurückziehend, sich den Schweiss abwischend
Sehr erkenntlich für Eure gute Meinung, mein Fräulein.
zum Barbier
Schaff sie mir vom Hals, sonst schwätzt sie mich tot.

BARBIER
Zu lsotta
Sir Morosus wird Euch dankbar sein, wenn Ihr ihm später Eure Kenntnisse ausführlich erläutert.
Zu Morosus
Gestattet, dass ich Euch noch dieses edle Fräulein präsentiere!

MOROSUS
zu Aminta, mit Wohlgefallen
Tretet näher, edles Fräulein!

AMINTA
natürlich scheu
Wenn's erlaubt ist ...

MOROSUS
Euer Name?

AMINTA
Timida.

BARBIER
leise dazwischen
Das kommt nicht von Timotheus, sondern ist Latein, . . heisst die Schüchterne, so nannten die frommen Schwestern sie um ihrer Bescheidenheit willen.

MOROSUS
Ein schöner Name! Er macht Eurer Anmut Ehre! Wollt Ihr Euch nicht an meine Seite setzen?

AMINTA
Ach Herr, dass ich es offen sag',
Ich tät' es nur zu gern.
Aber ich möchte nicht, dass es Euch später gereut
Und Ihr Euch ärgert über die verlorene Zeit;
Nicht dass mir's an Ehrfurcht vor Euch gebricht,
Aber versteht, ich fühl' mich recht ungeschickt,
Die Worte zu setzen,
Und hör' ich andere plaudern und schwätzen,
So spür' ich bedrückt,
Wie wenig ich weiss und die andern wie viel.
Zutraulich
Freilich, ich war immer allein,
Wuchs auf ohne Eltern und ohne Gespiel,
Hatt' niemand, mit ihm vertraulich zu reden,
So blieb nun die Scheu vor allem und jedem,
Werd' allemal töricht und roten Gesichts,
Wenn ein Fremder gütig die Red' an mich richt'.

MOROSUS
zum Barbier
Wie offen! Wie rein! - Ein liebliches Kind!
Zu Aminta
Und so seid Ihr tagsüber immer allein?

AMINTA
Ach Herr, wie sollt' es denn anders sein,
Leb' doch bei den frommen Schwestern im Haus,
Seh' oft wochenlang nicht auf die Strasse hinaus,
Aber ich trag' es schon so.
Mich erschreckt der Gassen Geschrei und Gesumm,
Am liebsten sitze ich still und stumm
An meinem Nähtisch den ganzen Tag,
Sticke mir all' meine Träumerei'n
In den runden weissen Rahmen hinein.
Und plötzlich hebt es dort an zu blühn
Von Blumen, von Sternen, von zartem Grün,
Und ich freu' mich, wie das neue Gebild'
Mit buntem Geleucht mir entgegenquillt.
Da wird mir plötzlich die Seele weit.
Ich spür' nicht die Welt, ich spür' nicht die Zeit,
Und mir ist,
Als ging ich über blüh'nde Wiesen hin
Und hörte aussen die Vögel singen
Und das Blau des Himmels sich niederschwingen
plötzlich sich unterbrechend
Doch verzeiht,
Ich spreche zuviel von mir törichtem Ding,
Solch kindischer Schwatz ist für Euch zu gering.

MOROSUS
zum Barbier
Wie bescheiden! Bezaubernd ist sie, bezaubernd!
Zu Aminta
Doch Sonntags wenigstens verlasst Ihr Eure enge Stube!

AMINTA
Ach Herr, da Ihr mich so offen fragt,
Fühl' ich mich schuldig und arg verzagt,
Denn am Ende mag's grosse Sünde sein,
Was ich tu, und Hochmut vor Gott dem Herrn.
Aber ich will's Euch offen gestehn:
ch lieb's nicht, mit den andern zur Kirche zu gehn.
Nicht, dass ich je meine Pflicht vergesse,
Die Beichte versäum' und die heilige Messe.
Am liebsten bin ich mit Gott allein.
Hat erst die Glocke sich ausgeschwungen,
Sind die andern fort und die Stimmen verklungen,
Dann erst schleich' ich in die Kirche mich ein,
Setz' still mich auf eine einsame Bank
Und sag' meinem Herrgott Liebe und Dank
Und hoffe, der alles verzeiht und ermisst,
Wird mir verzeihn,
Wenn dies Hochmut von mir oder Sünde ist.

MOROSUS
ganz wild zum Barbier
Sie ist die Rechte! Diese, diese und nur sie allein!

AMINTA
sich erschrocken stellend
Oh Gott, ich habe wohl töricht gesprochen, ich sehe, der gnädige Herr ist erregt. Verzeiht mir, Sir, wenn ich gefehlt habe.

MOROSUS
zum Barbier
Sag es ihr! Dich habe ich zum Werber bestellt. Tu deine Pflicht!

BARBIER
behutsam zu Aminta
Mitnichten hast du Sir Morosus missfallen,
Im Gegenteil, Kind,
Von allen Frauen, die hier sind,
Ist seine Wahl auf dich gefallen.
Tu auf dein Herz und öffne dein Ohr,
Grosse Ehre steht dir bevor:
Sir Morosus, obzwar von adligem Stand,
Wirbt durch mich bei dir um dein Herz und deine Hand.

AMINTA
Erschrecken heuchelnd
Oh Herr, was hab' ich denn Böses getan, dass Ihr meiner spottet und Scherz treibt mit einem armen Mädchen ?

MOROSUS
Nein, er hat die Wahrheit gesprochen. Ich frage dich, Timida, willst meine Gattin werden vor Gott und den Menschen ?

AMINTA
wie vor Ehrfurcht schauernd, in die Knie sinkend
Oh hohe Ehr!
Wollte Gott, dass ich ihrer auch würdig wär!

CARLOTTA
Ah, da schaugts her. So a Luder 1 Wie die ihn umkriegt hat. Heiraten tut ers. Dös wann i gewusst hätt.

ISOTTA
Eine so ungebildete Person. Aber sie kriegt einen Rüpel, der nach Tran stinkt und Branntwein. Mich hätt' er nicht bekommen.

CARLOTTA
Schau ma, dass ma weiter kommen. I geh ham.

ISOTTA
Ja, in einem solchen Hause habe ich nichts zu schaffen.
Beide scheinbar zornig ab

MOROSUS
zum Barbier
Und jetzt den Pfarrer, den Notar.

BARBIER
Gleich, gleich, und die Jungfer und mich als Zeugen. Alles geht wie am Schnürchen. Seht, ein Barbier hat den besten Blick und die sicherste Hand.
Ab
Morosus führt Aminta zum Tisch, sie setzt sich nieder und bleibt dort bescheiden und wortlos sitzen, Morosus betrachtet sie lang und bewegt

VIERTE SZENE

MOROSUS
nähert sich ihr langsam
So stumm, mein Kind,
Und noch immer so scheu?
In dieser Stunde, die uns verbindet,
Hätte ich dich lieber froh gesehn,

AMINTA
in ihrer Rolle
Verzeiht mir, Herr, meine törichte Art,
Bin noch bestürzt und ganz benommen,
Hätte nie gewagt, nur im Traum zu denken
Gott wolle mich mit soviel Ehre beschenken.

MOROSUS
Kind, gib dich keiner Täuschung hin,
Dich ruft keine Ehr',
Vor ein grosses Opfer bist du gestellt!
Sieh, Kind,
Erst sah ich's selbst so leicht wie du.
Ich dacht': nimmst dir ein junges Weib,
Als gält's bloss Spiel und Zeitvertreib,
Und meint, eine jede müsst' glücklich sich preisen,
Meine Ehefrau und Gemahlin zu heissen.
Doch blick' ich dich jetzt, du Liebliche, an,
Du halb erst erschlossne, du Gottesblüte,
So bebt mir die Seele, so bebt mir die Hand:
Wie darf ich alter grämlicher Mann
Um soviel sorglose Jugend werben?
Ja, immer schwerer drückt es mich, mein Kind,
Ob wir beide nicht doch zu ungleich sind.

AMINTA
mit gespielter Treuherzigkeit
Ach Herr, ich weiss es nur selbst zu sehr:
Wär besser für Euch, wenn ich älter wär
Und mehr schon verständ' von adliger Art.
Doch ich will mich von Herzen zusammennehmen,
Euer Ansehn nicht vor der Welt zu beschämen.

MOROSUS
Du Kind! Wie sehr du mich missverstehst.
Ich zweifle doch nicht, ich zweifle nicht, nein,
Wie leicht es wär, mit dir glücklich zu sein,
Aber du, aber du,
Wird es dich nicht gereu'n?
Bedenk, ich bin ein alter Mann.

AMINTA
noch immer in der Rolle
Das macht doch nichts,
Das ist doch schön:
Alter bringt Ansehn, Ruhm und Ehr'!

MOROSUS
Wie Jugend doch vom Alter spricht,
Als war's nicht Not und schwer Gewicht!
Kind, hör mich an!
Ein alter Mann ist nur ein halber Mann,
Denn halb bloss steht er in der Zeit,
Sein best' Teil ist Vergangenheit.
Sein Aug' hat längst sich satt geschaut,
Sein Herz geht müd' und schlägt nicht laut.
Ein Frost sitzt ihm zutiefst im Blut
Und lähmt den rechten Lebensmut,
Und weil er selber starr und kalt,
Macht er die ganze Umwelt alt.
Er kann nicht munter sein, nicht lachen,
Nicht andre froh und freudig machen -
Nur eins hat er der Jugend vor
Nur eins, mein Kind, kann er allein:
Ein alter Mann kann besser dankbar sein.
Er fasst sie an der Hand und sieht sie zärtlich an. Aminta wird wider ihren Willen beschämt und bewegt unter seinem Blick
Denn denk,
Wie wenig braucht ein alter Mann,
Um seines Lebens sich zu freu'n!
Ein stiller Tag ist ihm schon Glück,
Ein Wort, ein Lächeln macht ihn froh,
Und blickt ihn einer milde an,
So hat er ihm schon wohlgetan.
Nein, Kind, nichts Grosses will ich mehr,
Nicht Liebe, Glut und Leidenschaft,
Wär glücklich schon,
Wenn du mich nicht als Last empfändst
Und mir ein wenig gut sein könntst! -Wär das zuviel von dir begehrt?

AMINTA
ehrlich ergriffen
Oh Herr, ich schwöre beim heil'gen Sakrament:
Ich fühl', dass ich Euch redlich liebhaben könnt...

MOROSUS
beglückt
Oh Timida!

AMINTA
merkend, dass sie aus ihrer Rolle gefallen und rasch sich fassend
...So wie man einen Vater fromm liebt und verehrt,
Der einem das Liebste im Leben geschenkt.
Was ich auch tu,
Mag's auch Euch erst fremd und feindlich anmuten,
Ich schwör' Euch zu:
Ich mein' es einzig zu Eurem Guten,
Und kann ich Euch von Missmut befrein,
So werd' ich die glücklichste Frau auf Erden sein.

MOROSUS
Oh Kind, wie tief du mich beglückst!
Was Liebe doch für Wunder wirkt -
War eben noch erbost und schwach,
Ein alter Mann, ein kalter Mann,
Und nun blüht's selig auf in mir
Und all dies Glück verdank' ich dir!
Er nähert sich ihr zärtlich und ergriffen und küsst sie auf die Stirn

FÜNFTE SZENE
Der Barbier tritt leise ein

BARBIER
Ei, ei, wie rasch das Arkanum wirkt! Ich sehe, sie hat Euch das Blut flink gemacht und die Augen hell, ich erkenne den düsteren Sir Morosus von gestern kaum und kann beinah' nicht mehr redlich Zeugenschaft ablegen vor Pfarrer und Notar, dass Ihr derselbe seid wie allesonst. Aber sie sind schon auf der Treppe, die ehrwürdigen Herren, haltet also um des Respektes willen ante copulationem zurück mit aller Zärtlichkeit, die post copulationem ein wohlerlaubtes Vergnügen und sogar Pflicht frommer Ehegatten ist und jede Ehe besser würzt als Rosinen den Kuchen.

SECHSTE SZENE
Es treten ein: Vanuzzi als Priester verkleidet, Morbio mit Brillen als Notar kostümiert, mit ihnen die Haushälterin. Barbier empfängt sie an der Tür

BARBIER
Anhiero gestatte ich mir, hochverehrliche Herren, Ihnen die beiden Brautwilligen zu präsentieren, den hochberühmten Sir Morosus, Lord Seiner Majestät und weiland Kommandeur seines Flaggenschiffs, und die tugendhafte Jungfrau Timida, beide ledigen Standes, doch gewillt, mit Eurer und des Himmels Hilfe in den heiligen Ehestand zu treten. Ich bitte Euch, hochedle Herren, waltet Eures Amtes.

VANUZZI
als Pfarrer, feierlich
Kein schöner Amt der Priester kennt
In dieser Welt voll Zwist und Streit
Als zwei, die sich in Liebe finden,
Vor Gottes Antlitz zu verbinden.

MORBIO
als Notar
Zwar Todesfall und Testament
Dem Anwalt mehr an Sporteln rafft,
Er lebt vom Streit, doch gerne stellt
Er auch für Liebe Zeugenschaft.
Freilich muss sie geregelt sein,
Nicht freche Wollust ohne Zucht.
Die Liebe nur im Ehestand
Wird von ihm als giltig anerkannt,
Denn Ordnung ist des Anwalts Welt,
Dass allerorts sie innehält,
Ist er vom hohen Amt bestellt.
Zu beiden
So frag' nach Ordnung ich zuvor!
Sehr rasch
Sind alle die verschiedenen Conditiones erfüllt, die nach den Gesetzen der Kirche und den Gesetzen der königlichen Majestät notwendig sind zu einer giltigen und feierlichen Eheschliessung der hier im Pakt bezeichneten Personen? Sind ferners ehrenwerte Zeugen zur Stelle, die Identitas oben genannter Personen mit ihrem Signum zu bezeugen? Bestehen keine obstacula matrimonii, zu deutsch, keine ekklesiastischen oder profanen Hindernisse der Eheschliessung, als da sind, primo ...

VANUZZI
als Pfarrer unterbrechend
Ich glaube, Herr Kollega, wir kürzen die Formali-täten. Die Fama des Sir Morosus ist zu weltbekannt, und für Jungfer Timida bürgen Meister Schneidebart und die ehrsame Wittib Zimmerlein. Wollen die Braut willigen und die Zeugen vorerst noch den Pactus signieren, damit der Regula Genüge geschehen.

MOROSUS
tritt vor und unterschreibt

BARBIER
mitlesend
Sir Morosus, Kommandeur. .

AMINTA
unterschreibt

BARBIER
ebenso
Timida ...

HAUSHÄLTERIN
unterschreibt

BARBIER
Theodosia Zimmerlein, Wittib. Und nun ich selber: Pankrazius Schneidebart.
unterschreibt

VANUZZI
als Pfarrer, sehr pathetisch
So walt' ich meines beil'gen Amtes, das Sacramentum matrimonii zu vollziehen. Seid ihr beide entschlossen, vor Gottes Antlitz und in irdischer Zeugenschaft dieser beiden in den heiligen Ehestand zu treten ?

MOROSUS
rasch
Ich bin's.

AMINTA
zögert, verwirrt sich, schweigt

MOROSUS
Timida - du schweigst?

MORBIO
Ehrt des Mädchens edle Scheu! Ihre Scham verheisst Euch unberührte Tugend.

BARBIER
gibt Aminta einen Stoss, leise
Avanti !

AMINTA
schwach
Ich bin's.

VANUZZI
So verbinde ich euch, und möge der Tod nur lösen, was ich sterblicher Mensch vereine!
Sehr undeutlich und rasch
Sponseo vos in nomine patris, filii et sancti spiriti ...
zurücktretend, mit aufgelockerter Stimme
Und nun lasst mich den Ersten sein, der euch beiden Glück wünscht für immerdar.

MOROSUS
Ich dank' Euch, ehrwürdiger, und Euch, hochgelehrter Herr, und den ehrenwerten Zeugen, und ich danke Gott, dass er mir so viel unverdientes Glück im Herbst meiner Jahre noch zugeteilt hat.
Macht eine Geste zur Haushälterin
Darf ich die ehrenwerten Herren nun bitten, einen kleinen Imbiss mit uns zu nehmen?
Die Haushälterin bringt gefüllte Gläser; alle abwechselnd

VANUZZI
als Pfarrer
Nur ein wenig will ich weilen,
Um Euch nicht zur Last zu sein,
Liebe liebt ja nicht zu teilen,
Glückliche sind gern allein.

MORBIO
als Notar
Nur ein Gläschen will ich munden,
Junge Eh' ist leicht gestört,
Endlos scheint da jede Stunde,
Die ihr nicht allein gehört.

MOROSUS
Aminta anblickend
Wunderbar, sie anzuschauen,
Wie sie scheu und zaghaft blickt-.
Stillste, süsseste der Frauen,
Die mir Gott ans Herz gedrückt!

AMINTA
Ach, wenn sie nur länger blieben,
Denn kaum sind wir allein,
Drängt er mich mit seiner Liebe,
Und ich muss zu ihm hässlich sein.

BARBIER
Nun heisst's, baldigst sich verkrümeln
Eh' die Bombe explodiert.
Noch schwimmt er in allen Himmeln,
Morgen ist er auskuriert.

HAUSHÄLTERIN
Kann mir keinen Reim da machen,
Keiner zeigt sein wahr' Gesicht.
Halber Ernst und halbes Lachen
Irgend etwas stimmt da nicht.

VANUZZI
als Pfarrer
Da wir so guter Art versammelt sind, lasst uns Glück wünschen, denen wir dieses Glück danken. Es lebe das junge Paar, vivat, floreat, crescat!
Alle stossen an, die Gläser klingen, sie trinken aus. Stille

MOROSUS
Mir ist, als hörte ich einen Engel schweben durch diese Stille ...

SIEBENTE SZENE
Furchtbares Gepolter vom Eingang her. Die Treppe stürmen laute Schritte herauf, die Tür wird aufgerissen, herein bricht eine Schar ordinärer Seemänner, die alle von Vanuzzis Truppe dargestellt werden, mit Enterhaken, Kolben, Fanfaren, Trommeln, Dudelsäcken, als erster einrotgeschminkter trun-kener alter Matrose, den Farfallo spielt, der eine Harpune in der Hand schwingt

FARFALLO
als alter Matrose
Potz Deubel, so hat die alte Hur' diesmal doch nicht geflunkert; er hat sich ein Mädel geentert, der alte Kaptän Morosus! Aber so still, wie du denkst, wirst du deine Prise doch nicht in den Hafen hineinbugsieren! Wär eine Schmach für das ganze Seemannsvolk, sollt' ohne Salut der Kommandant von unserer Flotte Hochzeit halten. Ehre, dem Ehre gebührt!

MOROSUS
Ihr irrt Euch wohl! Ich kenne Euch nicht. Seid keiner von meiner Mannschaft gewesen.

FARFALLO
Mach keinen Stunk! Hast wohl Nebel im Oberdeck, dass du Tom Fexer nicht kennst und den d___en Jonny und die ganze Schwefelbande von deiner Fregatte! Aber wir kennen unsern alten Morosus, und ungeteert sollst du heute nicht in deine Kombüse kriechen.
Zu den andern
Vorwärts, brave Kameraden,
Unser alter Admiral
Hat uns zwar nicht eingeladen
Zu dem Fest und Hochzeitsmahl,
Kann's uns aber nicht verwehren,
Dass wir ihm ein Ständchen bringen!
Vorwärts! Tusch zu seinen Ehren!
Lasset die Trommeln frisch erklingen
Und im Reigen, hell und laut:
Vivat, vivat, Sir Morosus!
Vivat, vivat, seine Braut!
Sie trommeln, spielen auf Dudelsäcken, trompeten und brüllen

MOROSUS
wie ein Rasender aufspringend
Dass euch die Gicht in die Beine fahr', ihr Lügenbrut! Ruhe, oder ich karbatsche euch hinaus mit der neunschwänzigen Katze! Schert euch zum Teufel und seiner Grossmutter!
Die andern haben sich ihm entgegengeworfen

AMINTA
O teurer Mann,
Sie meinen's doch nur gut.

VANUZZI
als Pfarrer, wie erschreckt
Aber Sir, in solcher Stunde
Solch' unheil'ger Fluch aus Eurem Munde!

MORBIO
als Notar
Vorsicht, Vorsicht, nur keine Injurias, es könnt' ein Prozessus daraus resultieren!

FARFALLO
als Matrose, sich wütend stellend
Was? So empfängst du deine alten Kameraden, du ausgemästete Landratte? Schämst dich wohl ihrer vor deinem Püppchen, sind dir wohl zu roh, zu ungeschlacht? Oder schämst dich, dass du mit deinem grauen Haar dir noch den Wanst wärmen willst an jungem Blut statt an altem Rum? Aber alle sollen's wissen, die ganze Stadt!
Er reisst die Fenster auf und schreit hinaus
Heda Nachbarn, heda Leute,
Alle her; alle herauf:
Sir Morosus heuert heute,
Hat euch alle eingeladen.
Vorwärts, lasst die Glocken läuten,
Vorwärts, lasst die Böller krachen,
Vorwärts her und kommt und schaut!
Kommt ihm alle Willkomm' sagen,
Ihm und seiner jungen Braut!

MOROSUS
wutschnaubend und von den andern festgehalten
Meine Pistolen, dass ich diesem Gaukler ein Loch in den Pelz brenne! An den höchsten Mastbaum gehörst du, an die oberste Raa, du Schurke du ... du ... du ...

DIE ANDERN
ihn festhaltend
O schont Euch ... o beruhigt Euch ... Es ist Euer Hochzeitstag ... zähmt doch Eure Nerven ...

ACHTE SZENE
Die Leute und Nachbarn sind hereingeströmt. Abwechselnde Chöre. Frauen und Männer

MÄNNER
Ist es möglich, Sir Morosus?
Seht euch nur den Heuchler an.

FRAUEN
Er der tausendmal geschworen,
Dass er Frau'n nicht leiden kann.

MÄNNER
Der, wenn andere sich vergnügten,
Grimmig Gift und Galle speit.

FRAUEN
Und derweilen grauen Haares
Sich ein junges Kätzchen freit.

ALLE
durcheinander
So ein Heuchler! So ein Schlauer!
Alter Fuchs! Duckmäuserich!
Heimlich holst du dir die Frauen!
Alter Fuchs, wir haben dich!

MOROSUS
noch immer umringt und festgehalten
Lasst mich los! Hinaus, Gesindel, hinaus aus meinem Haus!

HENRY
verkleidet als Führer des Chors
Willst uns wohl den Spass verwehren,
Dich als Freiersmann zu schau'n?
Nein, das soll dir nicht gelingen!
Du sollst eine Fastnacht haben,
Die du nicht so schnell vergisst.
Vorwärts, lasst die Glocken schwingen!
Los die Salven, die Fanfaren,
Und ein Vivat angestimmt:
Holla hoh der alte Knabe!
Holla hoh die junge Braut!

ALLE
tumultuarisch durcheinander
Holla hoh der alte Knabe!
Holla hoh die junge Braut!
Sie brüllen, schreien, lachen, trompeten, trommeln, spektakulieren. Von draussen hört man die Glocken und eine Artilleriesalve. Furchtbarster Lärm

MOROSUS
blau im Gesicht vor Zorn, wird ganz vernichtet zu einem Sessel hingeführt
Wasser! Luft! Atem! Sie haben mich hingemacht!
Zum Barbier
Ich ersticke! Lass mir zur Ader! Und schaff' sie mir aus dem Haus um Gottes Gnade willen!

BARBIER
zu den anderen, sich höflich verneigend
Hochansehnliche Brautgesellschaft, illustre Damen und respektable Herrn, Sir Morosus dankt euch tiefgerührt . . .

EINE STIMME
Schlaggerührt. Haha!

BARBIER
...für die unschätzbar gütige Teilnahme an seinem Hochzeitsfest. Da er vor freudiger Erregung das Wort nicht findet, bittet er euch durch mich, im Wirtshause rechts um die Ecke auf seine Kosten drei Fässer vlämisches Bier anschlagen zu lassen und auf sein Wohl zu leeren.

FARFALLO
als Matrose
Das ist eine bess're Rede,
So ist's recht, du alter Knabe,
Und merk dir's für alle Zeit:
Wo sich einer will erlaben,
Sollen alle Freude haben,
Sonst ist's halbe Seligkeit.
Vorwärts jetzt zum Ehrentrunke!
Doch zuvor noch hell und laut,
Einmal noch in voller Runde:
Hoch Morosus, hoch die Braut!

ALLE
aber nicht mehr so lärmhaft
Hoch Morosus, hoch die Braut!
Verziehen sich jetzt mit Bücklingen und Gelächter, auch die Seeleute

MOROSUS
aufatmend
Sind sie jetzt weg? Meine Ohren, meine Schläfen, alles ist wund. Oh, mir war wie Sankt Laurentius am Rost. Wasser! Gib mir Wasser!

AMINTA
bringt ein Glas

VANUZZI
als Pfarrer, nähert sich Morosus mit Morbio-Notar
Nehmt's nicht so streng, als es erscheint,
War etwas laut, doch gutgemeint.
Das Volk, wenn es in Laune ist,
Leicht alle Würdigkeit vergisst.
Doch nun gestattet, Sir, mich zu empfehlen, mich ruft mein Amt und auch Ihr seid wohl lieber mit Eurer Frau allein.

MOROSUS
matt
Ehrwürd'ge Herrn, nehmt meinen Dank!

VANUZZI
Ist gern geschehn.
Hoff', bei der Kindstauf' Euch wiederzusehn.

MORBIO
als Notar
Empfehl' mich sehr,
Kam gern zu solchem Anlass her,
Und braucht Ihr jemals Hilf' und Rat,
Bin allzeit zu Eurem Dienste parat.

BARBIER
leise zu Aminta
Nun aber kräftig losgepfiffen, Aminta! Zeig, was eine schweigsame Frau zetern und posaunieren kann!

AMINTA
Ach, hättet Ihr doch lieber eine andre ausgesucht zu solchem Spiel! Er tut mir ja so leid, der arme, gute Mann!

BARBIER
Eben darum! Nur mit Essig und Salz ist seine Narrheit zu kurieren. Also bring ihn wacker in Saft, wir werden's dann schon auskochen.

VANUZZI
als Pfarrer, sich ihr nähernd
Hochedle Frau, wir wünschen gute Nacht.
Leise
Rupf ihn, zupf ihn, dass alle Federn fliegen!

MORBIO
als Notar
Ich halte mich Euer Gnaden bestens empfohlen!
Leise
Mach' unsrer Kunst keine Schande! Zwick' ihn, zwack' ihn, bis er Blut schwitzt!

AMINTA
zu sich
Ach Gott, nie war mir was so schwer!
Wollt' schon, dass alles vorüber wär.
Vanuzzi, Morbio, der Barbier gehen, machen bei der Tür noch einmal ermunternde Zeichen zu Aminta

NEUNTE SZENE
Morosus und Aminta sind allein, man hört die Schritte der Fortgehenden auf der Treppe und dann das Tor zuschlagen. Tiefe Stille. Aminta hat sich ganz bedrückt an den Tisch gesetzt und seufzt laut auf. Morosus nähert sich der Schweigenden, die ihn nicht anblickt, zärtlich und besorgt

MOROSUS
Du bist so still und scheinst bedrückt? Oh, ich versteh's! Dieser wüste infernalische Lärm hat dich wohl müd' gemacht?

AMINTA
Ach nein, das nicht.
Sie seufzt

MOROSUS
sich ihr nähernd
Du seufzst? Drückt dich ein Gram?

AMINTA
ehrlich erregt
Ach güt'ger Herr, um aller Heil'gen willen, fragt mich nicht, fragt mich nicht!

MOROSUS
zärtlich
Ich muss dich aber fragen, Kind! Sind wir nicht eine Sache jetzt vor Gott, ein Herz, ein Leben? Muss deine Sorge nicht auch die meine sein? Vertrau mir's an: was drückt dich so ?

AMINTA
zur Seite
Wenn er nur grob wäre und hart, dann ging nur's leichter!
Laut
Nichts, nichts, drängt nicht in mich!

MOROSUS
Nein, sag' es, Kind, vertrau' mir's an.

AMINTA
Noch einmal, Herr, flehentlich bitt' ich Euch: drängt nicht in mich!

MOROSUS
Aber es tut mir weh wie eig'ner Schmerz, dich umdüstert zu sehn, dich, die ich glücklich haben möchte ... meine Timida, was drückt dich so?

AMINTA
ganz blass und gespannt
Herr, gnädigster Herr, um Euretwillen drängt jetzt nicht ... ich brauche noch ein wenig Ruhe ...
leise für sich
Ein Wort noch, wenn er spricht, und ich fange an ...

MOROSUS
für sich
Wie hold ist eines Mädchens Scham!
Zu ihr heran und sie anfassend
Hör', meine Timida ...

AMINTA
aufstampfend und in geheucheltem Zorn schreiend
Ruhe! Hab' ich dir gesagt!!!

MOROSUS
vor Schreck auf den Rücken fallend
Aaaaaah!

AMINTA
losbrechend
Meine Ruh' will ich haben,
Ruhe, Ruhe, Ruhe, Ruhe!
Will nicht gefragt sein,
Will nicht geplagt sein!
Lass mich nicht quälen, nicht inquirieren,
Weiss meine Sachen selber zu führen,
Weiss am besten, was mir mundet und frommt,
Und verdammt, wer mir da in die Quere kommt!

MOROSUS
ganz verblüfft über die Verwandlung, kleinlaut
Aber Timida.... ich wollte doch nur ...

AMINTA
stampfend
Gar kein Aber! Ausgeabert!
Nichts zu wünschen, nichts zu reden,
Hier geschieht nur, was ich will,
Ich und ich und ich und ich.
Niemand hat hier was zu fragen,
Niemand hat hier was zu wollen,
Ausser ich und ich und ich.

MOROSUS
Aber Timida ... Wo ist deine Sanftmut... ich er-kenne dich gar nicht ... ich meinte ...

AMINTA
scheinbar wütend auf- und ablaufend
Hast gemeint, du kaufst dir eine,
Die still buckelt und pariert,
Eine stumme, dumme Kleine,
Die dir Herd und Haushalt führt.
Fehlgeraten! Fehlgeschossen!
Merk's beizeiten, wer ich bin!
Glaubst, ich habe dich genommen,
Hier mich schweigsam einzumauern
Und mein Leben zu vertrauern?
Nein und nein und nein und nein!
Nein, ich lass mich nicht verstören,
Selber will ich mir gehören!
Ich bin jung und ich will leben,
Ich bin jung und will mich freu'n!
Ich will spassen, ich will lachen,
Freude haben, Freude machen,
Munter unter Menschen sein,
Unter jungen, frohen, frischen,
Die mir warm das Blut aufmischen -
Soll ich hier im Hause bleiben,
Muss es laut und l___ig sein!

MOROSUS
ganz verzweifelt auf- und abrennend
Oh, ich Narr, ich gottgeschlagener,
Der in seinem Wahn geglaubt,
Eine Frau könnt' stille sein.
Oh, ich Narr, ich Narr, ich Narr,
Der mit seinen grauen Haaren
Noch einmal zur Freite ging
Und sich wie ein dummer Bube
In dem eignen Netze fing!
Oh, ich Narr, ich Narr, zu spät jetzt
Seh' ich meine Narrheit ein!

AMINTA
auf und ab
Alles muss hier anders werden,
Jugend hat ihr eigen Recht!
Wagen will ich und drei Pferde,
Kleider, Perlen, Diamanten,
Diener, Pagen, Lakaien,
Papagei und Kakadu,
Wie es einer Lady ziemt.
In die Messe, in die Bäder,
Immer in den schönsten Kleidern
Und zu Hause stets Musik,
Bläser, Geiger, Lautenschläger,
Cembalo und Clavecin,
Sänger, Tänzer und Kastraten.
Immerdar Musik, Musik!
Selber will ich singen, lernen
Musik, Musik, die grösste l___!
Denn zu laut drängt mir die Freude
In der aufgespannten Brust!

MOROSUS
gleichfalls auf- und abrennend
Oh, ich Narr, ich ausgepichter!
Weh an welche Teufelin
Bin ich Tölpel da geraten!
Wie sie schreit , oh, wie sie zetert,
Wie sie jubelt, wie sie schmettert!
Meine Ohren! Meine Ohren!
Ach Gott, ich bin verloren,
Wenn sie lang so weitertobt!
Beide sind im Hin- und Hergehen aneinandergeraten

AMINTA
herrisch
Renn' mir da nicht in die Quere!
Ich geh' hier und niemand andrer!
Ich red' hier und ich allein;
Ich und ich und ich und ich!
In den Winkel, in die Ecken
Geh' dein graues Haar verstecken,
Ich bin jung und brauche Raum!

MOROSUS
ist in die Ecke geflüchtet, schlägt mit den Fäusten an dieWand
Oh, ich Tölpel, oh, ich Esel,
Der an eine Frau geglaubt!
Narr und Narr und Narr und Narr,
Der ich bin und der ich war!
Das ist ärger als die Hölle!
Das ist ärger als der Tod!

AMINTA
immer heftiger
Alles muss hier anders werden:
Breit die Fenster, hell die Wände
Und erleuchtet von Brokat,
Tisch und Tafel neu und üppig,
Viele Spiegel, viele Lichter,
Bilder, Blumen und Gestühle,
Raum für Tanz, Raum für Musik!
Sie sieht sich um, reisst die Decken und Vorhänge, welche die Fenster verhängen, polternd herab, nimmt einen Stock und drischt in die Kostbarkeiten des Morosus hinein, seine Fisch-gerippe, Pfeifenständer, astronornischen Instrumente, dass alles zu Boden klirrt und fällt
ort mit diesem alten Plunder:
Kirchhofsdung und Mottenfrass!
Weg die Waffen, die Pistolen,
Diese bleichen Fischgerippe,
Alles, was an Tod erinnert,
Alles, was an Furcht gemahnt!
Weg mit all dem m___ und Moder
Einer abgelebten Zeit,
Weg mit all' dem Stank von Toback,
Diesem Grind von Greisenheit!
Krach und klirr und noch und nochmals
Weg mit all dem toten Zeug!

MOROSUS
ganz verzweifelt, um seine Habseligkeiten zu retten, ihr in den Weg gesprungen
Meine Pfeife! Mein Teleskop!

AMINTA
den Stock gegen ihn hebend
Weg, sonst kriegst du auch noch Dresche!
Hüte dich! Ich bin im Schwung,
Einmal gründlich auszuräumen,
Was hier morsch und m___ig ist.
Sie drischt weiter zu
Weg mit dem da! Weg mit diesem!
Krach und klirr und noch und nochmals!
Ich will diese Bude säubern,
Dass kein Stück mehr übrigbleibt.

ZEHNTE SZENE
Die Eingangstür wird aufgerissen. Es erscheint Henry Morosus in seinem gewöhnlichen Aufzug

HENRY
Was geht hier vor? Sind die Türken im Haus?

MOROSUS
auf ihn zu und vor ihm auf die Knie stürzend
Henry, Henry, um aller Heiligen willen, rette mich vor diesem Satanas, rette mich, rette mich! Sie macht mich krank, sie macht mich tot, sie macht mich wahnsinnig, sie zerreisst mir die Ohren, sie zertrampelt mir das Herz, Henry, Henry, errette mich vor ihr oder ich geh' vor die Hunde!

HENRY
ihn aufhebend
Mein gütiger Ohm, beruhigt Euch!
Zu Aminta
Was erlaubt Ihr Euch gegen meinen Oheim?

AMINTA
frech
Bin Euch keine Auskunft schuldig. Und macht schleunigst wieder die Tür von aussen zu. Hier bin ich Herrin und niemand andrer. Brauch' keine Ehehelfer und Hausgucker. Expediert Euch hinaus!

HENRY
Euch werd' ich hinausexpedieren und mit der flinkesten Post! Ich will dir, Weibsbild, Manieren lehren!

AMINTA
Haha? Mich hinaus! Bin die Herrin hier mit Siegel und Pakt. Das ist Hausfriedensbruch! Den Sheriff! Dieser Lümmel stört meine Ehe.

HENRY
Ruhe und hinein in dein Zimmer!

AMINTA
Hier tu ich, was ich will.

HENRY
In dein Zimmer, oder ich prügle dich zusammen!

AMINTA
Mich schlagen? Eine Frau willst du schlagen?

HENRY
Eine Frau, die ihren Mann nicht ehrt, gehört zerdroschen wie Häcksel: ich scheu' diese Arbeit nicht. Vorwärts, hinein, in dein Zimmer und Ruhe gehalten!

AMINTA
Mich eine Frau -
aufstampfend
Nein, nein, nein, nein!

HENRY
Marsch!
Er packt sie am Handgelenk

AMINTA
Er hat mir die Finger gequetscht,
aufschreiend
er hat mir die Gelenke gebrochen ... Aber ich, ich geh' züm Sheriff, zum Sheriff ... Justiz ... Justiz!

HENRY
Wirst du jetzt gehen?

AMINTA
unter der Daumenschraube heulend
Ja, ja, ja.

HENRY
sie loslassend
Das war meine erste Probe! Versuch's nicht weiter! Und jetzt vorwärts: hinein!

AMINTA
Oh ... oh ... oh.. er hat mir die Hand zerquetscht ...
heulend ins Zimmer gehend
aber ich - ich geh zum Sheriff morgen ... oh ... oh ... oh.
Sie verschwindet heulend in dem Nebenzimmer

ELFTE SZENE

HENRY
sich umwendend
Siehst du, Ohrn, das ist die richtige Art, mit schweigsamen Frauen umzugehn, wenn sie nicht schweigsam sind.

MOROSUS
Henry Henry, wie soll ich dir danken? O Gott, welch ein Weib hast du da erschaffen, o Gott! Henry, du weisst, ich war nie ein feiger Mann, in siebzehn Schlachten hab' ich gestanden und hab'im Orkan mir selber die Segel gerefft, aber gegen die komm' ich nicht auf. Die macht mich hin. Henry, wie soll ich's ertragen, mit solchem Teufel zu leben! Lieber ins Wasser! Lieber in die Themse!

HENRY
Keine Not! Habt zwar eine Eselei begangen, höher als ein Mastbaum, aber sorgt Euch nicht, ich werde alles schon einrenken. Morgen bestell' ich den Richter und Advokaten, und Ihr löst die Ehe wieder auf.

MOROSUS
ganz beglückt
Oh, wenn das möglich wär: zwei silberne Kandelaber würd' ich stiften für die Kirche, zehn Betten fürs Armenhaus! Henry, Henry, wie hundsföttisch hab' ich gegen dich gehandelt, aber jetzt, wenn du mich rettest, soll alles dir gehören, was ich habe, alles, alles ich brauch' ja nichts mehr im Leben, meine Ruhe will ich haben, meine Ruhe, Rnhe!

HENRY
Lasst mich nur alles besorgen, morgen seid Ihr ein freier Mann.
Begütigend
Aber nun geht zu Bette, Ohm, Ihr seht recht ermüdet aus.

MOROSUS
Ja, ganz zerbrochen fühl' ich mich, sie hat mich platt gedrückt wie einen Schellfisch, sie hat mich geschmort, geröstet, ach, nie hätt' ich gedacht, dass ein rechtschaffner Mann so ein armer Hund werden könnte, wie ich es bin.

HENRY
Überschlaft's nur, und morgen ist alles vorüber!

MOROSUS
Wie soll ich schlafen können mit der nebenan! Lieber mit der brennenden Pfeife auf einem Pulverfass - nein, ich fürchte mich ... ich fürchte mich.

HENRY
Fürchtet Euch nicht! Geht ruhig in Euer Zimmer, riegelt es ab, und vor der Tür halt' ich Wacht, dass sie nicht bei Euch einbricht: sie hat meine Faust schon gespürt, die kommt nicht mehr.

MOROSUS
Oh, wie gut du bist! ja, bleib da vor der Tür, viel-leicht kann ich schlafen. Oh, ich bin so müde, so zer-schlagen, mir schwindelt's vor den Augen, ganz leer ist mir im Leib, ja, ich muss ruhen, ich muss ruh'n.

HENRY
ihn unterin Arme fassend und geleitend
Geht nun zur Ruhe und seid unbesorgt, ich halte treue Wacht vor Eurer Tür bis zum Morgen, dann geh' ich den Richter holen. Und jetzt: schlaft wohl!

MOROSUS
bei der Tür hineinwankend
Dank dir, mein Henry, ah ... schlafen ... schlafen ...schlafen ...

ZWÖLFTE SZENE
Man hört den Riegel von innen zuschieben und den Schlüssel sich im Schlosse drehen. Henry lauscht - wartet, bis Sir Morosus zur Ruhe gegangen ist, dann mit drei Sprüngen leise hinüber zur andern Tür

HENRY
leise
Aminta, Amintal

AMINTA
kommt leise heraus, beide umarmen sich

HENRY
Du süssester Engel, wie herrlich hast du geteufelt! Schon ist er weich wie Wachs, morgen wird der Braten gar.

AMINTA
Ach Gott, der arme alte Mann,
Wie ungern hab' ich ihm wehgetani
Hatt' mitten in meinen Teufelei'n
Immer l___, mit ihm recht gütig zu sein,
Seufzt
Wär alles nur schon beim rechten End',
Dass ich ihn ehrlich und offen liebhaben könnt!

HENRY
Wie gut du bist und voll Gefühl.
Wie ganz zum Zärtlichsein gemacht!
Nein, sorg dich nicht! Nur diese Nacht noch
Musst du Frau Morosus sein,
Dann immer mein, dann immer mein!

AMINTA
Wie hass' ich all' die Spiel' und Schlich',
Dies Bösetun mit Spott und List -
Und doch, was tät' ich nicht für dich,
Der du mir eins und alles bist!

HENRY
Oh, Kind, wie glücklich machst du mich!
Sie halten einander urnschlungen. Tiefe Stille. Plötzlich die Stimme des Morosus aus dem Schlafgeniach, tief und dunkel

STIMME DES MOROSUS
Henry, Henry! Hältst du noch Wacht?

HENRY
Ja, mein Ohm, die ganze Nacht!

STIMME DES MOROSUS
Und ist sie jetzt still?

HENRY
Aminta, die er umfangen hält, über das Haar streifend
Ja, sie ist still,
Kein Wort, kein Hauch fliesst ihr von der Lippe,
Still ruht ihre Hand, still ruht ihre Brust,
Ihr Atem ist kaum im Dunkel zu spuren,
Sie kann sich nicht regen, sie kann sich nicht rühren,
Stumm ruht sie wie ein schlafendes Kind.

STIMME DES MOROSUS
So kann ich nun schlafen? Hältst du sie fest?

HENRY
Aminta noch enger an sich ziehend
Ihr braucht nicht zu bangen!
Wie mit eisernem Griff, wie mit brennenden Schnüren
Halt ich sie gefangen,
Sie kann sich nicht regen, sie kann sich nicht rühren,
Mit Willen und Wissen ihr ganzes Leben
Mir nun für immer anheimgegeben!

STIMME DES MOROSUS
tief, warm
Aah ... aah ... So kann ich beruhigt schlafen. Dank dir für alles, Dank dir, o Dank!

HENR
Immer dein, immer dein!

AMINTA
selig zu Henry aufschauend
Dank dir für alles! Dank dir, Dank!
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